2 - Gerechtigkeit und Unparteilichkeit. Ist es immer gut, gerecht zu sein? [ID:8843]
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Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Prof. Dr. Erasmus Mayer ist Inhaber des Lehrstuhls für praktische Philosophie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Er hinterfragt in seinem Vortrag aus philosophischer Sicht, ob es immer gut ist, gerecht zu sein.

Gerechtigkeit ist ein Begriff, den wir im alltäglichen und im öffentlichen Diskurs eigentlich andauernd in den Mund nehmen.

Und zwar sowohl im Großen wie im Kleinen.

Gerechtigkeit ist eines unserer Lieblingsschlagwörter, wenn wir Handlungen oder Zustände kritisieren oder bewerten wollen.

Und ich glaube, ich muss Sie da nicht mit Beispielen quälen.

Das bekommen Sie jeden Morgen, wenn Sie die Zeitung aufschlagen.

Wie Ihnen aber dabei vermutlich auch schon aufgefallen ist, es ist keineswegs klar, was mit Gerechtigkeit damit eigentlich immer gemeint ist.

Und verschiedene Menschen, die von Gerechtigkeit reden, meinen damit offensichtlich sehr verschiedene Dinge.

Und diese Unterschiede beruhen primär darauf, dass ein ganz erheblicher Dissens darüber besteht, was eigentlich Gerechtigkeit erfordert.

Welche Handlungen und Zustände eigentlich gerecht sind.

Und es gibt zwar so ein paar sehr, sehr allgemeine, abstrakte Formulierungen über Gerechtigkeit, die die meisten Leute unterschreiben würden.

Also ich kenne vielleicht diesen lateinischen Satz, dass Gerechtigkeit darin besteht,

su un cu ique tribura, also jedem, das ihm zukommende, das, worauf man Anspruch hat, zuzuteilen.

Da würden die meisten Menschen sagen, das stimmt.

Aber das ist natürlich enorm abstrakt und was das in konkreten bedeutet, ist völlig unklar und sehr umstritten.

Und das ist natürlich eine ganz wesentliche Quelle von Dissens über die Bedeutung von Gerechtigkeit.

Es gibt aber auch noch eine zweite Komplikation.

Und die besteht darin, dass wir ganz unterschiedliche Arten von Dingen gerecht oder ungerecht nennen.

Wir nennen zum Beispiel gesellschaftliche Zustände gerecht oder ungerecht.

Wir sagen zum Beispiel, die Einkommensverteilung in einem Land ist ungerecht.

Wir nennen aber auch Verfahren oder ihre Ergebnisse gerecht oder ungerecht.

Also wir sagen zum Beispiel, ein Gerichtsverfahren war ungerecht, weil ein Zeugen nicht angehört wurde.

Oder wir sagen, das Urteil als Ergebnis des Gerichtsverfahrens war ungerecht, weil ein Unschuldiger vorurteilt wurde.

Das ist also auch eine Art von Dingen, die wir als gerecht oder ungerecht bezeichnen.

Aber es gibt doch eine andere Sache, die wir als gerecht oder ungerecht bezeichnen, oder eines Objekts.

Und das sind Personen. Wir nennen natürlich auch Personen gerecht oder ungerecht.

Und deswegen entspricht so einer langen Tradition, historischen Tradition in der Philosophie,

in der man Gerechtigkeit als eine wichtige persönliche Tugend angesehen hat.

Also die wichtige Individualtugend.

Und Sie werden es wahrscheinlich wissen, Gerechtigkeit ist nicht nur irgendeine Tugend in der Philosophie und Tradition,

sondern eine der vier Kardinaltugenden.

Und was mich heute Abend interessieren wird, ist primär dieser Individualtugend-Sinn von Gerechtigkeit. Gerechtigkeit als Individualtugend.

Und vielleicht ist es heute nicht mehr das erste, woran man denkt, wenn man Gerechtigkeit hört.

Also vielleicht ein bisschen altmodisch, so zu sagen, Gerechtigkeit als Individualtugend.

Und ich vermute, Sie sagen oft sehr selten über Leute, das ist aber ein gerechter Mensch oder sowas.

Und ich glaube, das liegt daran, dass wir heute dazu am ehesten sowas wie Anstand sagen würden.

Ich habe mir über das nachgedacht, welchen Begriff wir dafür heute am ersten verwenden würden.

Und Anstand schiebe mir so, das nächste zu sein.

Und ich meine jetzt nicht Anstand im Sinne von guten Manieren, sondern Anstand in dem Sinn, dass man andere fair behandelt und dass man halt bestimmte Dinge nicht tut.

Und das, glaube ich, entspricht relativ genau dem, was man vor ein paar hundert Jahren noch Gerechtigkeit genannt hätte.

Gut, also um diesen altmodischen Sinn von Gerechtigkeit geht es mir heute Abend.

Und genauer gesagt geht es mir um ein kleines Problem oder ein kleines Rätsel über Gerechtigkeit als Tugend.

Und wir Philosophen mögen ja ganz kleine Rätsel oder Probleme, an denen wir herumkauen können.

Wie entsteht dieses Problem?

Na ja, es gibt eine sehr lange und sehr einfacher philosophische Tradition, nach der Gerechtigkeit nicht durch irgendeine Tugend ist,

sondern eine ganz zentrale Tugend, eine halt über Tugend.

Vielleicht sogar die wichtigste soziale Tugend.

Also nach der Tradition ist eigentlich, wenn es um unsere zwischenmenschliche Verhältnisse geht, um unser zwischenmenschliches Zusammenleben, ist die wichtigste Tugend die Gerechtigkeit.

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Erasmus Mayr Prof. Dr. Erasmus Mayr

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:52:07 Min

Aufnahmedatum

2017-05-04

Hochgeladen am

2018-02-02 10:07:33

Sprache

de-DE

Gerechtigkeit wird normalerweise als eine zentrale Tugend von Einzelpersonen und sozialen Ordnungen angesehen und ist durch die Einhaltung strikter Regeln gekennzeichnet. Diese sollen auch dann 'ohne Ansehung der Person' eingehalten werden, wenn das keinen Nutzen für die Betroffenen hat der im Einzelfall sogar zu schlechten Folgen führt. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob es nicht im moralischen Sinne falsch ist, die Besonderheiten des Einzelfalls zu ignorieren. In meinem Vortrag möchte ich dieser Frage nachgehen und zeigen, dass ein richtiges Verständnis der Rolle der Gerechtigkeit eine Unterscheidung zwischen grundlegend verschiedenen Arten von moralischen Gründen und Prinzipien erfordert.

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